Worte aus dem Halbexil.

Heidelberg, 25. Januar 2022

Ich will keine Kerzen anzünden müssen. Aber ich tue es. Tue es, weil Kerzen anzünden eben eines der besten Dinge ist, die man machen kann, wenn es eigentlich scheinbar nichts mehr sinnvolles in der Welt zu tun gibt. Also bin ich in unsere Stadt gefahren, und habe heute eine Kerze für dich angezündet. Ich weiß noch nicht wer du warst. Wie du hießt, was du liebtest, ob ich dich kannte. Ob du mit mir Abi gemacht hast, wir dasselbe Lieblingscafé hatten, oder du mir irgendwann mal die Tür zur Straßenbahn aufgehalten hast als ich mit drei Postkisten in den Händen durch die Stadt rannte. Ich hoffe, ich bin dir irgendwann mal begegnet und habe mitbekommen dürfen wer du warst.

Du lebst nicht mehr. Und so klingen meine Worte hohl in einen luftleeren Raum. Was bleibt, ist für mich zu schreiben. Und für meine Mitmenschen. Für meine Abi-Stufe, für unsere Studiengefährt*innen, für unsere Dozent*innen. Für die akademische Gemeinschaft, für die Stadt, für unsere Freund*innen, für unsere Familien. Also schreibe ich nun für uns.

Denn unsere Trauer ist was uns noch Halt und Kraft gibt. Und so trauern wir. Und wir weinen, und wir zünden unsere Kerzen an. Und wir gedenken, und wir bleiben gedenken, denn nur so können wir voranschreiten. Und so trotzen wir, indem wir das vollbringen, was unsere Mitbürger*innen über den Globus hinweg milliardenfach am Tag machen. Wir binden unsere Schnürsenkel, öffnen die Tür, und gehen mit Gott und einer kräftigen Portion Lebensmut und Glück aus dem Haus. Wir kommen zusammen, und zünden unsere Kerzen an, und werden sie leuchten lassen. Bis in alle Ewigkeit.

Wir danken den Einsatzkräften, denjenigen die sie unterstützen und leiten, und wir danken für eine unverblümte Pressekonferenz der qualvollen Wahrheit. Wir fühlen mit der Toten, den Terrorisierten, den Angehörigen. Wir zünden unsere Kerzen an.

Wir finden unsere Freund*innen. Wir kommen zusammen, wir spielen Spiele, wir erheben unser Glas. Wir umarmen unsere Liebsten und genießen den nächsten Tag, der uns geschenkt wurde. Wir zünden unsere Kerzen an. Und wir finden Zuflucht in den Gesprächen die wir führen und denen wir lauschen, in den Menschen die uns zuhören und denjenigen für die wir ein offenes Ohr sind; gleich ob auf der Straße, in der OEG, in der Kirche, am Telefon, hinterm Bildschirm. Wir finden zu Zusammenhalt wenn wir unser Herz ausschütten, wenn wir weinen, wenn wir gemeinsam schweigen; wenn die Seniorengruppe in der benachbarten Straßenbahnsitzgruppe sich noch darüber freuen kann gemeinsam wo hie fahret zu derfe, und wenn die Schüler*innen auf der anderen Straßenseite auf ihrem Heimweg noch ungetrübte Wettrennen veranstalten können.

Und alles was bleibt, ist das zu sagen, was mer Kurpälzer dann immer sagen. Es ist unsere Verzweiflung, unsere Hoffnung auf Erlösung, unsere Dankbarkeit am Leben zu sein, unser Mantra des Leidens und des Lichtes; Unser Gruß an eine scheußliche Realität, der wir in unserer Machtlosigkeit entgegen starren, und der wir dennoch stoisch das letzte Wort entziehen; Unsere ewige Trauer um ein entrissenes Leben, unsere ewige Demut vor den Opfern, unser ewiges Gebet –

Alla guud.

Anlaufstellen

In Person

Anonym

Für unmittelbar Betroffene & Angehörige:

Autor dieses Textes

21 jahre alt, born and raised in and around Heidelberg/Neuenheim, damals aktiv in der katholischen jugendverbandsarbeit. zum studium weggezogen. zum tatzeitpunkt mittagessen-kochend drei dörfer weiter nördlich.

14 thoughts on “Worte aus dem Halbexil.

  1. Danke für die Worte. Meine Tochter ist eine der Verletzten. Die Anteilnahme zu spüren gibt etwas Halt. Die Kerzen zu sehen, hat gut getan. Auch wir haben Kerzen angezündet. Die Hilflosigkeit ist übermächtig.
    Danke.

Comments are closed.